Die Motivation
Der Begriff der Motivation hat im gesamten Bereich der Zahnheilkunde einen hohen Stellenwert. Besonders gross ist dieser Stellenwert in der Kariesprophylaxe, in der Kieferorthopädie und in der Myofunktionstherapie.
Bei der Orofacialen Therapie und der Kieferorthopädie handelt es sich um langfristige Therapieverfahren, in denen die Koordination zwischen zwei Therapeuten in Fragen der Motivation und Information relevant wird, um ein gemeinsames Behandlungsziel zu erreichen. Gerade im Hinblick auf die Effizienz erscheint es wesentlich, Motivation als einen mehrdimensionalen Begriff aufzufassen, der im Persönlichkeitsganzen des Patienten begründet ist.
Einfühlungsvermögen
Entscheidend für den Aufbau einer tragfähigen Patient-Therapeut-Beziehung dürfte die grundsätzliche Einstellung des Therapeuten dem Patienten gegenüber sein. Dies kann nur gelingen, wenn er sich mit innerer Beteiligung der körperlichen und psychosozialen Gesamtheit des Patienten zuwendet.
Behandlungsbeginn im Vorschulalter
Kinder im Vorschulalter gehören in der Regel nicht zum Patientengut der MFT. In dieser Phase bieten spielerische Ansätze dem Therapeuten eine Zugangsmöglichkeit.
Die Behandlung beim Schulkind
Erst mit der fortschreitenden intellektuellen Entwicklung des Kindes im Schulalter werden pädagogische Massnahmen wie Appelle an die Kooperationsbereitschaft sinnvoll. Neben den therapeutischen Übungen sollte das behandlungsbegleitende Gespräch im Mittelpunkt stehen. Der Therapeut hat die Aufgabe, durch anschauliche Erklärung (Darstellung) von Zusammenhängen das Kind an der Therapie zu beteiligen und die Behandlung zu begründen. Durch eine Interdentallage der Zunge – sei es in der Ruhelage oder aktiv während des Schluckens – kann sich ein bestehender offener Biss nicht schliessen. Er kann sich sogar verschlechtern. Diese Zusammenhänge müssen dem Kind von Sitzung zu Sitzung mehr bewusst gemacht werden. Emotional stellen für Kinder in diesem Alter Helden und Supermänner "Vorbilder" dar. Sie können im Hinblick auf Korrektur des Gebisses genutzt werden.
Die Vorpubertät stellt hinsichtlich der Mitarbeit des Kindes eine kritische Phase dar. Verstärktes Bewegungsbedürfnis, erhöhte Aggressionsberereitschaft, Ablösungsversuche von den Eltern und gesteigerter Geltungsanspruch vor den Freunden stehen der Behandlung aber möglicherweise nur scheinbar entgegen. Der Therapeut kann das Selbstwertgefühl des unsicheren "Ichs" gezielt durch Lob und Aufmunterung stärken und in einer Zeit vermehrter Frustration zu einer wichtigen Bezugsperson für den Patienten werden. Unter Umständen wird das Kind zeitweise nur ihm zuliebe den Behandlungsplan einhalten und entsprechende Übungen durchführen.
Aus den Selbstbehauptungstendenzen im Verlauf der Pubertät, einer Ablehnung vieler Werte und einer Protesthaltung gegen Autoritäten können zusätzliche Konflikte mit dem Therapeuten auch hinsichtlich der Behandlung wirksam werden. Eine verständnisvolle und akzeptierende Haltung – auch des Äusseren – von Seiten des Therapeuten kann hier die Fortsetzung einer für die Behandlung guten Beziehung gewährleisten. Angebote der Mitverantwortung der Behandlung sind angemessen, die Ablehnung einer Behandlung muss akzeptiert werden. Ein verstärkter Körperbezug kann in dieser Phase gegenbenenfalls ein starker Motivationshebel sein.
Körpersprache
Es ist ausserordentlich wichtig, diese Beziehung primär unter dem Gesichtspunkt der Partnerschaft aufzubauen. Sie muss über die gesamte Dauer der Behandlung tragfähig bleiben. Dieses Verhältnis zwischen Patient und Therapeut ist von Emotionalität, also Antipathie und Sympathie, gekennzeichnet und bestimmt die Motivationsstruktur über die Mitarbeit ausserordentlich stark.
In diesem Zusammenhang ist es für den Therapeuten wesentlich, sich im Laufe der Behandlung stets über die Bedeutung dieser Emotionalität bewusst zu sein. Die erste Begegnung, der Blickkontakt, nonverbale Mitteilungen und die behutsame Gesprächsführung ohne schrille Töne tragen nicht nur zur Entkrampfung der Behandlungssituation bei, sie dienen in erster Linie der Herstellung einer vertrauensvollen Beziehung. Die therapeutische Situation sollte auch aus diesen Gründen vom Zeitdruck weitgehend freigehalten werden.
Engagement von Patient und Eltern
Der Einbezug der Eltern in das Geschehen der MFT ist von entscheidender Bedeutung. Während Garliner den Eltern in erster Linie die Aufgabe der Kontrolle von Trainingsübungen und Zeitplan zuteilt, zeigen andere Autoren auf, das sich gerade dadurch ein neues Konfliktpotenzial ergeben kann.
Nach meiner Erfahrung können zu dominante Eltern für den Behandlungserfolg geradezu kontraproduktiv wirken. Ihre Motivationsstruktur und Erwartungshaltung unterscheiden sich von denen des Kindes. Fälle, in denen das Kind sich nicht mit den Behandlungswünschen der Eltern identifizieren kann und diese als aufgezwungenen Willen empfindet, sind typisch für diesen Problembereich.
Die Eltern beschweren sich während der Sitzung lautstark über die mangelnde Mitarbeit des Kindes. Aufgabe des Therapeuten ist es hier, bewusst nicht vorschnell und einseitig Partei zu ergreifen, sondern vermittelnd zu wirken. In besonderen Fällen kann u.U. durchaus ein klärendes Gespräch mit den Eltern allein angezeigt sein. Grundsätzlich muss der Therapeut bemüht sein, Informiertheit der Eltern und ihre Funktion als emotionale Stütze für das Kind mit dessen Belangen und dem Behandlungsziel zu koordinieren. Die Anwesenheit und der Einbezug der Eltern bei Therapiesitzungen sollte deshalb die Regel sein.
Information und Problembezug
Die Durchführung angeordneter Übungen und die Einhaltung eines Zeitplanes könnten ohne die Vermittlung von Einsicht in ihre Zusammenhänge nur dann erwartet werden, wenn genügend Kontrolle und Zwang zur Verfügung stehen. Da Kontrolle und Zwang in einem positiv ausgerichteten Verfahren wie der MFT vollkommen unsinnig wären und im Rahmen eines Heilverfahrens auch gar nicht durchführbar sind, steht die Information von Eltern und/oder Patient an zentraler Stelle.
Der Therapeut soll sich stets vergegenwärtigen, dass er sich dabei in Denk- und Sprechweise dem Standpunkt des Patienten gemäss verhalten muss, falls er eine wirkungsvolle Information beabsichtigt.
Die Myolunktionelle Therapie ist vielen Menschen noch relativ unbekannt. Sie haben häufig Zweifel am Therapieerfolg. Der Informationsfluss ist im Laufe der Therapie unterschiedlich intensiv. Besonderer Stellenwert unter diesen Gesichtspunkten kommt dem Abschnitt der ersten Beratung zu. Er sollte unter keinen Umständen unter Zeitnot erfolgen. Da alle späteren Therapieschritte auf dem Prinzip der Freiwilligkeit des Patienten funktionieren, ist es in diesem Stadium wesentlich, dass der Therapeut zwar das Gesprächsziel vor Augen hat, das Gespräch selbst aber nicht zu sehr auf seine eigenen Belange oder auf eine vorgefasste Strategie ausrichtet. An dieser Stelle ist von ihm entsprechend hoher Reflexionsgrad gefordert.
Die Konzeption informativer Gesprächsführung nach Erhebung eines speziellen Befundes sollte neben der Nennung der Diagnose die gemeinsame und anschauliche Besprechung von Einzelheiten des Befundes berücksichtigen, die patientengereehte Beschreibung von Ursache und Wirkung des Problems sowie eine realistische Übersicht des Behandlungsplans. Sie sollte frei von Schuldzuweisung sein, auf den aktuellen Stand der therapeutischen Möglichkeiten hinweisen, bewusst Verständnisfragen des Patienten stimulieren und ihm Zeit zum gründlichen Ueberdenken der gemachten Vorschläge einräumen. Um möglichen Behinderungen oder Widerständen im Verlauf der Therapie begegnen zu können, sollten möglichst bald auch familiäre Verhältnisse, häusliches Milieu sowie evtl. Zwänge zu Hause, in der Schule oder am Arbeitsplatz erkundet werden.
Ausdrücklicher Behandlungswunsch
Es ist für die Aufnahme einer MFT unbedingte Voraussetzung, dass der Patient die Besserung ausdrücklich will. Aus diesem Grund ist die an den Patienten direkt gerichtete Frage "Willst Du... ?" an bestimmten Schlüsselpositionen immer wieder in den Therapieablauf eingearbeitet.
Entscheidend kann in diesem Zusammenhang sein, dass der Patient in diesen Situationen immer wieder sieht, dass hier seine zutiefst eigenen Belange Im Mittelpunkt stehen. Gelingt es dem Therapeuten, an diesen Stellen vertrauensvoll als "sachverständiges Gegenüber" begriffen zu werden, so stützt er hier indirekt die Motivation des Patienten.
Einfühlungsvermögen
Entscheidend für den Aufbau einer tragfähigen Patient-Therapeut-Beziehung dürfte die grundsätzliche Einstellung des Therapeuten dem Patienten gegenüber sein. Dies kann nur gelingen, wenn er sich mit innerer Beteiligung der körperlichen und psychosozialen Gesamtheit des Patienten zuwendet.
Personale Sicherheit
Besonders im Rahmen der MFT und den scheinbar einfach strukturierten Massnahmen, die hierbei zum Tragen kommen, kommt der Überzeugungskraft des Therapeuten substanzielle Bedeutung zu. Bestandteil dieser persönlichen Sicherheit ist, dass der Therapeut stets genau weiss, was er tut, alle Schritte der Diagnostik, der Trainingsanleitung und deren Modifikationen möglichst meisterhaft beherrscht und auch nonverbal Vertrauen in die eigene Methode signalisiert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch eine möglichst genaue zeitliche und inhaltliche Koordination der Therapieschritte zwischen Kieferorthopäde und Myofunktionstherapeut.
Äussere Umgebung
Nach unserer Erfahrung hat es sich als vorteilhaft erwiesen, wenn der MFT-Therapeut in der Praxis des Kieferorthopäden arbeitet und der Zahnarzt vom Therapeuten wie auch umgekehrt der Therapeut vom Kieferorthopäden jederzeit konsiliarisch abrufbar ist. Die Gestaltung des Therapieraumes muss kindgerecht sein, so dass der Patient Spannungen abbauen kann. Wir achten darauf, dass die Sitzungstermine der MFT mit dem Kieferorthopäden koordiniert sind.
Leistungsbezug der Therapie, Erfolgskontrolle und Lob
Eine entsprechend an der psychologischen Entwicklung orientierte Leistungsmotivation kann als wichtiger Faktor in der Behandlungsstrategie angesehen werden. Wesentlich ist dabei, Patienten regelmässig am Fortgang und Erfolg der Behandlung teilhaben zu lassen. Der Fortschritt der Behandlung wird mit Messlisten protokolliert. Wesentlich ist das Sichtbarmachen des Behandlungsfortschrittes, dies gilt gleichermassen für Eltern und Kinder. Als Motivationshilfen werden die Unterlagen des Kieferorthopäden verwendet, vor allem der Modellvergleich und der Vergleich der Fotostaten, in einigen Fällen auch die Überdeckung der Durchzeichnungen der Fernröntgenbilder.
Lob und Bestätigung sind hier als Motivationshilfen angemessen und essentiell. Belohnungen sollten situationsgebunden bleiben. Eine Strafe, insbesondere eine sachfremde Bestrafung, ist in keinem Falle angezeigt.
Als sinnvoll werden sog. Checklisten als Übungskontrolle und Erinnerungshilfe angesehen. Diese können direkt – als selbstgebasteltes Zeichen in Haus und Schule – wirksam werden oder indirekt – z.B. nonverbal – als Zeichen mit einem Aufforderungs- oder Symbolcharakter aufgeladen werden und sind vom Patienten häufig freiwillig bestimmt.
Hinsichtlich Leistungsbezug und Erfolgskontrolle ist es unumgänglich, die Eltern als Co-Therapeuten zu gewinnen. Für die Erfolgskontrolle ist das Recallverfahren sinnvoll und als Bestandteil in die Behandlung integriert. Die Stabilisierung des Trainingserfolges ist von grösster Wichtigkeit und erfolgt in einer systematischen Nachbetreuung. Das Resultat wird nachkontrolliert und spezifische Fragen werden geklärt. Behandlungsinhalte werden ins Gedächtnis zurückgerufen. Der Therapeut kann über den Recall zu einer wichtigen Bezugsperson für den Patienten werden. Die MFT hat hier Schrittmacherfunktion für die Kieferorthopädie.
Behandlung Erwachsener
Die Aufnahme der Myofunktionstherapie bei Erwachsenen ist gesondert zu diskutieren. In der Regel handelt es sich um Fälle mit Kombinationstherapie von Kieferorthopädie und Kieferchirurgie. Der Erwachsene hat ein Bewusstsein und einen gewissen Intelligenzquotienten. Er ist anders zu motivieren und braucht in der Regel entsprechend weniger Konsultationen.
Eingehen auf spezifische Begleiterscheinungen
Antriebslose Patienten fallen häufig durch schlaffe Mund- und Körperhaltung auf. Entwicklungspsychologisch abgestimmt muss besonders in diesen Fällen nach individuellen Motivationsreizen gesucht werden. Die Kooperationsbereitschaft und auch Phantasie der Eltern sind hier unverzichtbar.
Hypermotorische Patienten zeigen häufig sog. Ticks (Blinzeln), Lippensaugen, Nägelkauen oder andere auffällige Angewohnheiten. Sie drücken sinnfällig aus, dass eine Störung in der Abwicklung von Handlungsimpulsen vorliegt. Hierbei werden eigene Impulse, aktiv an die Umwelt heranzutreten, stark unterdrückt. Sie erfordern erhöhte Bereitschaft zur Kontaktaufnahme. Eventuelle Hemmungen im Denken, Sprechen, Planen, Wollen und Leisten sind bei Motivationsversuchen zu berücksichtigen. Wichtig ist es, zu registrieren, ob die Abgewöhnung von Habits eventuell zu Symptomverschiebungen führt.
Patienten, die nach leichtem Sauerstoffmangel bei der Geburt von leichten Störungen der Fein- und Grobmotorik gekennzeichnet sind, gilt es per Anamnese und Befund frühzeitig zu erkennen und die Anforderungen des myofunktionellen Trainings ensprechend darauf abzustimmen.